Psalm 23 e.V.
Psalm
23 e.V. Holzmarkt 3 52156 Monschau
Humboldtgymnasium
Köln
z.Hd.
Herrn Klaus Riedel
Kartäuserwall
40
50676
Köln
Telefon 02472/9877606
Telefax 02472/912033
Monschau den
06.03.04
Betrifft:
Dimitri
Sehr
geehrter Herr Riedel
Ich
schreibe Ihnen als Stellvertreter für alle Jugendlichen, Eltern und
Mitwirkenden am Musical Dimitri. Herrn Pong und mir war es eine Freude am
5.3.04 Ihr Gast in Köln zu sein und der großartigen Aufführung des Musicals
beizuwohnen.
Als ich im Jahre 1992 mit anderen späteren
Mitgliedern unseres Vereins zum ersten mal das Kindergefängnis Lebedeva in St.
Petersburg betrat, wäre mir im Traum nicht eingefallen, welche Folgen das haben
würde. Als wir seinerzeit unter falscher Flagge in das Kindergefängnis
eingelassen wurden, bot sich uns ein Bild des Schreckens. Wir fanden bis zu
20 Kinder in eine Zelle gepfercht, die für 8 Gefangene gedacht war. Der Gestank
in den Zellen war unbeschreiblich, da die in den Ecken befindlichen offenen
„Hockeklos“ teils verstopft, teils stark verschmutzt waren. Kinder die ihre
Notdurft verrichten mussten konnten dies nur in der Öffentlichkeit der Zelle,
vor allen anderen Mitgefangenen tun.
In einer Zelle trafen wir auf einen Erwachsenen Mitgefangenen, der
gerade einen etwa 14 Jahre alten Jungen sexuell bedrängte. Diese erwachsenen
Mitgefangenen wurden als ,,Aufseher" mit in die Zellen gesperrt. Die
Situation war den Wärtern nicht mal peinlich!
Die Kinder und Jugendlichen hatten keine
Seife, keine sauberen Handtücher, und teilweise seit Jahren keine Zahnpasta
mehr gesehen. Krankheiten wie Krätze oder Infektionskrankheiten grassierten in den
Zellen.
Das Essen, welches
,,gereicht“ wurde, war der Rede nicht wert und konnte wohl Niemand satt machen und der Hofgang, wenn
überhaupt, einmal die Woche, konnte die Tristesse auch nicht unterbrechen,
wurde man doch in 4x4 m große Tigerkäfige zum Hofgang gesperrt. Die
Wärter waren desinteressiert und auf Grund ihrer eigenen wirtschaftlichen Not
nicht in der Lage, wirklich etwas für die Kinder und Jugendlichen zu tun. Die
Flucht in den Wodka führte zu so manchem Gewaltausbruch der Wärter in den
Gefängnissen.
Unser
seinerzeitiges Ansinnen, den Kindern und Jugendlichen zur Hilfe zu kommen,
wurde vom Anstaltsleiter ausgelacht. ,,Um Dreck sollte mach sich nicht
kümmern" war seine Meinung zu den Jugendlichen und Kindern.
Psalm 23 e.V. wurde
spontan, noch in der gleichen Nacht, ins Leben gerufen. Der Name wurde nicht
nur aus religiösen Gründen gewählt, denn die Begründer und
Mitglieder des Vereins kommen aus verschiedenen Religionen oder sind Atheisten.
Es ging um zwei Sätze im Psalm: ,,Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts
mangeln" war für die unter uns, die an Gott glauben, wichtig und der Satz
,,er deckt den Tisch im Angesicht meiner Feinde" für alle unter uns, denn
das ist es, was wir in dieser Nacht und danach für die Kinder tun wollten.
Seitdem hat sich viel geändert. Wir haben die
Zustände in den Gefängnissen seinerzeit öffentlich und europaweit angeprangert.
Das hat zu einer Welle der Hilfsbereitschaft geführt. Zahlreiche Organisationen
und Institutionen haben sich engagiert und sind uns zur Hilfe gekommen. So konnten wir bis
1997 die verschiedensten Hilfsprojekte auf der Straße und in den Gefängnissen
von St. Petersburg starten. Dabei war es immer unser Anliegen ein Beispiel zu
geben ohne Arrogant zu sein. Es war uns immer klar, das die Russen sich selbst
helfen können und in fast jedem Russen ruht ein Herz für die Kinder Russlands.
Unsere Fluchtburgen
wurden dann auch bald von russischen Hilfsorganisationen erfolgreich und
nachhaltig kopiert. Viele dieser „Kopien" bestehen heute noch und sind nun
besser als das ,,Original".
Mit unserem
Nachtarzt haben wir das Modell für die ärztliche Versorgung der Kinder auf der
Straße gestellt und dank der überaus großzügigen Unterstützung der Stadt
Hamburg konnten die Miliz für Kinder, die Inspektion für Kinderrechte, auf den
Weg zu einer Jugendarbeit auf der Straße bewegt, ja teilweise umgeformt werden
Kinder in den Gefängnissen werden jetzt korrekt behandelt und Misshandlungen
sind die Ausnahme. Allerdings hat sich an der materiellen Enge und der
schlechten Ausstattung der Gefängnisse nichts geändert.
Mit Hilfe der EU
haben wir in den Jahren 1995-1997 Starthilfe an verschiedene russische, aber
auch ausländische Organisationen der Jugend- und Straßenarbeit in Petersburg
weiter geben können. Fast 30 % der so geförderten Einrichtungen bestehen heute
noch und sind so gefestigt, dass die Kinder und Jugendlichen in Petersburg auf
diese bauen können.
Psalm 23 e.V.
betreut jetzt noch die in seinen Fluchtburgen im Jahre 1992 aufgenommenen
Kinder, bis diese 18 sind und ihre Ausbildung erhalten haben, und wir freuen
uns, dass wir in diesem Jahr das Ziel erreichen werden.
Dazu tragen Sie, tragt Ihr nicht zuletzt mit
den von Euch gesammelten Spenden bei. Wir hoffen das Geld in Eurem Sinne
verwenden zu können, wenn wir es für die
letzten Kinder aus
unserer Fluchtburg einsetzen, aber auch für direkte Hilfe in den Gefängniszellen
von St Petersburg, welche dort von unseren Mitarbeitern vor Ort geleistet und
beaufsichtigt wird. Über die Verwendung des Geldes werden wir natürlich berichten.
Obwohl der Brief schon sehr lang geraten ist, möchte ich noch etwas zu
Ihrem/Euren Musical sagen. Genau so wichtig wie das Geld, welches in
Petersburg dringend benötigt wird, ist es, gegen das Vergessen der Kinder in
Petersburg anzukämpfen. Mit dem Musical wurde ein herausragender Beitrag hierzu
geleistet. Dabei haben Sie / habt Ihr viele Ängste und Sorgen der Straßenkinder
in St. Petersburg, nicht zuletzt auf Grund des tollen Drehbuches von Frau Barbara
Hahn, sehr direkt aber doch künstlerisch perfekt dargestellt.
Nun bin ich kein Theaterkritiker, aber als z.B. die Mafiosi (wir nennen die in Petersburg
,,Businessmänni“) die Bühne betraten, musste ich an die Gestalten denken, die
in den Cafes und Nobelrestaurants in Petersburg herumhängen und tatsächlich
schiffsladungsweise Waren verhökern, während ihre minderjährigen
,,Pferdchen" auf der Straße anschaffen gehen. Rene Simon und seine Truppe
waren da schon verdächtig echt.
Und beim Anblick des Popen ist mir wieder jene Situation im Jahre 1992
eingefallen, als wir die ersten unserer Kinder aus einer Pachtoilette am Nevsky
Prospekt herausgeholt haben. Dort lebten die 8 zwischen den Urinalen der
Männerklos, weil es in der Toilette knapp über 0 und draußen unter –20 Grad
war. Zu dieser Zeit hatten wir noch keine Fluchtburg und wir konnten auch keine
Wohnung mieten. Da sind wir halt mit den Kindern zur griechisch-orthodoxen
Kirche gestiefelt. Der Pope war sehr freundlich und meinte, er würde für uns
und die Kinder beten, aber das war's dann auch. Das hat Sebastian Velke richtig
dargestellt.
Mächtig und
schwer beeindruckend fand ich auch die Szene, bei der der Chor und alle anderen
Darsteller die ,,Macht“ verjagten und das Publikum mit ihrer Wut und
Enttäuschung Auge in Auge konfrontierten. Man denkt sofort an den einen oder
anderen Jugendlichen in Petersburg, der einem über die Jahre ,,durch die Hände“
geglitten ist und der genau dies empfunden haben muss. Michael Bahn und alle
anderen Darsteller rufen da zumindest bei mir Erinnerungen wach.
Und nicht zuletzt haben viele der Jugendlichen, die ich in
den Gefängnissen vorgefunden habe, daran gedacht, sich in den Tod zu flüchten,
der frei macht. Es stimmt schon, was Max Winterhoff da auf der Bühne darstellt.
Nun reicht es aber, sonst wird das Schreiben ja endlos lang. Noch mal
vielen Dank, auch im Namen meiner Mitstreiter in Psalm 23 e.V. und vor allem
derjenigen, denen das eingesammelte Geld helfen wird. Dafür werden Olga Uchatuk
in Petersburg und die Vorstandsmitglieder von Psalm 23 e.V. hier in Deutschland
Sorge tragen.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr / Euer
Stefan
Schepers
Vorsitzender
des Vereins
Psalm 23 e.V.
Vereinsregister Aachen Nr. 3 VR 2938
Sparkasse Aachen
Bankleitzahl 39050000
Konto Nr. 47528880
Vorsitzender: Stefan Schepers
Schatzmeisterin: Gertrud Rübel Vossel
Beisitzer: Birgit Pommè