Opernglas
für Anfänger – Erläuterung
Von
Carolin Katzenburg
Grundvoraussetzungen der
Performance:
Vier Instrumentalisten
(Flöte, Bb-Klarinette, Harfe, Quietsche-Entchen)
Vier Darsteller (Tänzer,
Schauspieler)
Material: Alltägliche
Gegenstände, einige Fäden
Gebrauchsanweisung(!):
Jedem
Instrumentalisten wird jeweils einer der Darsteller zugeordnet. Während die
Musiker die Partitur zu befolgen, versuchen die Darsteller den Gestus der Musik
durch das Wesen ihrer Bewegungen/ ihres Tanzes darzustellen/nachzuzeichnen,
wobei sich jeder jeweils nur auf den
zugeordneten Instrumentalisten beziehen darf. Zusätzlich werden alltägliche
Gegenstände mit Fäden an Armen und Beinen der Tänzer und Schauspieler
befestigt.
Ein Zuschauer wird ausgesucht, die Trillerpfeife
zu spielen. Auf sein Signal hin (insgesamt 7x) findet ein Wechsel zum
jeweiligen nächsten Kompositionsteil statt.
Da es sich bei „Opernglas für
Anfänger“ um eine Fluxuskomposition handelt, müssen definitionsgemäß folgende
Charakteristika zumindest zum Großteil erfüllt sein:
àBewusstseinerweiterung: Die Performance soll das Bewusstsein der
Mitwirkenden sowie der Zuschauer erweitern
àUnbedeutendes wir theatralisch neu in Szene gesetzt und gewinnt somit
an Bedeutung
àDie Ekstase des Augenblicks: Es findet eine besondere Konzentration auf
den gegenwärtigen Zeitpunkt und dessen Situation/Handlung statt.
àDas Publikum kann/soll involviert werden
àBewusstseinserheiterung
àDie Komposition soll in ihrer jeweiligen Art und Weise unwiederholbar, im
weiteren Sinne nicht durch ihre Dinghaftigkeit kommerziell vermarkt/-wertbar
sein.
àDie Auflösung der Schönen Kunst
à Spontaneität
Im Folgenden möchte ich nun
auf die einzelnen Charakteristika und Details der Komposition und ihre Funktion
eingehen:
Die Besetzung von Flöte, Klarinette
und Harfe entspricht zwar den klassischen Konventionen der „schönen Kunst“.
Jedoch wird dieses Trio noch um ein Quietsche-Entchen und vier Darsteller
erweitert - die schöne Kunst somit akustisch sowie visuell angegriffen und
teilweise zerstört. Die den Darstellern angebundenen Gegenstände werden durch
Bewegung in Schwingung versetzt und geben die für sich charakteristischen Laute
von sich. Eingebettet in musikalisches Geschehen werden sie neu in Szene
gesetzt und können so bewusster und in einem „neuen Licht“ wahrgenommen werden
(Bewusstseinserweiterung!).
Die vollständige Komposition besteht
aus sieben einzelnen Teilen: Drei Fluxus-Aktionen, drei „konventionellen“
Musikstücken und deinem Schlussmotiv.
Daher erscheint es sinnvoll
sich zumindest die ersten beiden „Gattungen“ genauer anzusehen:
Die Teile von komplett
ausnotierten Partitursystemen (konventionell) wechseln sich mit denen der
Improvisation ab (Fluxus). Aus diesem Grund kann man hier von „primären“ und
„sekundären“ Fluxus sprechen. Entweder werden die Vorraussetzungen für die
Bewusstseinserweiterung nur durch die Darsteller und den Geräuschen ihrer
„Anhängsel“ erfüllt - auch, wenn sich die momentane Musik im konventionalen
Rahmen bewegt (sekundärer Fluxus). Es gibt somit keinen Zeitpunkt, zu dem
Zuhörer sowie Mitwirkende ein Musikstück vernehmen können, das rein den
Konventionen der zur Perfektion strebenden Kunst entspricht. Auch in Teil I, IV,
VI und VII sind neben der Musik, die aus jeweils einer „prä-fluxistischen“
Epoche entnommen ist, die Geräusche der Alltagsgegenstände zu vernehmen. Oder
Musik sowie Geräusche und Bewegung können dem Fluxus zugeordnet werden wie z.B.
in den Teilen II, III, V (primärer Fluxus).
Durch das Quietsche-Entchen
sowie das Schlussmotiv (Teil VII) werden besonders Humor und Bewusstsein
angesprochen.
Der Ablauf der einzelnen
Teile ist so gewählt, dass sich neben verschiedenen Fluxus-Aktionen auch
ansatzweise eine Zeitreise durch die vergangenen Epochen der abendländischen
Musikgeschichte finden lässt. Somit stehen Teil I für Barock, Teil IV für
Romantik und Teil VI für Expressionismus. Dies bedeutet jedoch nicht, dass in
diesen Teilen die „Zerstörung der schönen Kunst“ unterbrochen wird: Da auch
während dieser Teile die durch die Bewegungen der Darsteller entstandenen
Geräusche vorhanden sind, ist der Fluxus auch hier präsent. Gegenwart und
Vergangenheit werden so „mit den Augen des Fluxus“ gesehen.
Neben den Rubato-Teilen II, II und V unterstreicht die Funktion der
Trillerpfeife die Unwiederholbarkeit der Performance. Alle improvisierten
Parameter der Musik und das zeitliche Einsetzen des Trillerpfeifensignals sind
für jede einzelne Aufführung des Stückes charakteristisch und in dieser Weise
nicht noch einmal aufführbar, somit nicht dinghaft und kommerziell verwertbar(
nach John Cage der Aleatorik entsprechend).
Bei Teil V z.B. handelt es
sich in der Partitur um eine Art Kubismusbild. Die Musiker sind dazu
aufgefordert zu versuchen, im Wirrwarr des aufgelösten Raumes Umrisse und
Figuren zu erkennen und diese akustisch darzustellen. Da es sich dabei jedoch
nicht um objektive Formen zwischen den Fünf (Noten-) Linien handelt, vielmehr
die Fantasie jedes Instrumentalisten gefragt ist und somit jeder etwas
unterschiedliches und immer wieder neues entdecken kann – sich so auch immer
wieder sie akustische Darstellung verändert -
ist dieser Teil kein zweites mal
in der selben Weise aufführbar.
Außerdem findet eine
Erweiterung des Bewusstseins in dem Sinne statt, dass ein Weg gefunden werden
muss, das visuell aufgenommene und abstrakte in musikalische Formen
umzuwandeln, was einen enormen individuellen Prozess der Auseinandersetzung mit
der Problematik bedeutet, die eigenen Spontaneität anspricht und mit in die
Komposition einbindet.
Da es sich bei diesem Teil um
einen immer neu wiederkehrenden Prozess handelt, lässt sich diese gleichsame
Auseinandersetzung des Publikums, des Komponisten und der Ausführenden
mit den wahrgenommenen akustischen Geschehnissen als soziale Interaktion (nach
der Definition von John Cage) bezeichnen.
Die Aufgabe des
Trillerpfeifenspiels wird einem Zuschauer zugeschrieben und dadurch das Publikum
teilweise in die Performance integriert.
In Teil III befindet sich
eine kompositorische Besonderheit: Die vier Instrumentalisten sind hier zwar
vollzählig beteiligt, jedoch erklingt jederzeit nur jeweils einer von ihnen.
Somit setzt sich die in der Tonhöhe improvisierte Melodie nicht nur aus den
herkömmlichen Parametern zusammen, sondern wird zudem um die Vielfalt an
Klangfarben und –charakteristika erweitert.
Durch Teil II wird nicht nur
auf die Kommunikation zwischen Darstellern und Instrumentalisten, sondern - und
vor allem gleichzeitig - auch der Musiker untereinander Wert gelegt. Dies
wiederum erfolgt im Sinne einer kommunikativen Bewusstseinserweiterung, im entfernteren Sinne
Das „Maß“ an Ekstase des
Augenblicks jedoch ist fast gänzlich von den Ausführenden der Performance
abhängig. Die Komposition bietet aber
einige Möglichkeiten hierfür an. Beispielsweise erfordern einzelne Teile wie II,
II, V besondere Aufmerksamkeit und Konzentration, sind dabei aber immer
unvorhersehbar und lassen Freiraum für das Gefühl, „den Augenblick genau zu
erleben“.
Allgemein betrachtet ist
„Opernglas für Anfänger“ eine Komposition, deren eigenen Funktion darin besteht,
den Zuschauern sowie auch den Mitwirkenden der Performance bewusst zu machen,
das sogar alles alltägliche Handeln (dargestellt durch die Alltagsgegenstände)
von Musik beeinflusst ist, sein wird und war ( deshalb die Zeitreise). Diese
Botschaft unterstreicht zudem eine der Grundprinzipien des Fluxus: Das Leben
ist Kunst(Musik) und wiederum Kunst (Musik) ist das Leben.
Carolin Katzenburg (09/2006)