1. Unterrichtseinstieg
1.1 Theoretische Funktionsbestimmung
Der Unterrichtseinstieg ist - wie der Name sagt - dazu da, den Schülern
den Einstieg in ein neues Thema bzw. eine neue Lernaufgabe zu erschließen. Er
ist sozusagen das »Tor«, durch das der Schüler in die neue Lern-Landschaft
hinauswandert, oder die »Hefe«, die den angerührten Teig zum Aufgehen bringt.
Der Begriff bezeichnet einen
bestimmten Schritt bzw. eine Stufe oder Phase des Unterrichts - in diesem
Falle den ersten. Man könnte begrifflich und inhaltlich zwischen dem »Stundeneinstieg«
und dem »Einstieg in ein neues Thema« unterscheiden. Aus reinen Platzgründen
wird darauf in dieser Lektion verzichtet. Es geht im folgenden also sowohl um
Stundenanfänge wie auch um Einstiege in größere Themenkomplexe.
Der Einstieg soll das neue
Thema für die Schüler auf- oder erschließen. In der didaktisch-methodischen
Literatur1 wird diese Grundfunktion des Erschließens in eine Reihe von
Teilfunktionen aufgeschlüsselt:
·
Der
Einstieg soll bei den Schülern eine Fragehaltung wecken.
·
Er
soll die Schüler neugierig machen.
·
Er
soll das Interesse und die Aufmerksamkeit auf das neue Thema, auf
das zu lösende Problem, auf die zu erwerbende Qualifikation lenken.
·
Er
soll die Schüler über den geplanten Unterrichtsverlauf informieren.
·
Er
soll die Vorkenntnisse und Vorerfahrungen zum Thema in Erinnerung
rufen.
·
Er
soll die Verantwortungsbereitschaft der Schüler wecken; sie sollen die
Chance wahrnehmen, mitzuplanen und mitzureden.
·
Der
Einstieg kann unter Umständen auch aus einer Provokation der Schüler bestehen.
Dann hat er die Funktion, vertraute und liebgewordene Vorstellungen zu verfremden.
·
Häufig
hat der Einstieg zusätzlich die Funktion, das, was schon bekannt ist, mit dem,
was neu erarbeitet werden soll, zu verknüpfen. Der Einstieg leistet dann eine Vernetzung
von Ergebnissicherung und Neuanfang (z.B. in der übenden Wiederholung oder
in der Hausaufgabenkontrolle zu Stundenbeginn).
Der Einstieg hat nicht nur eine kognitive, sondern auch eine affektive
(= auf Gefühle, Einstellungen und Werthaltungen
bezogene) und manchmal auch eine psychomotorische (= auf die Verbindung von
Kopf- und Handarbeit zielende) Dimension. Dies machen auch die in diesem Buch
über Unterrichtsmethoden enthaltenen Einstiege (z.B. die der DIDAKTISCHEN LANDKARTEN oder
das zu Beginn der VIERZEHNTEN LEKTION vorgeschlagene Experiment zur Körpersprache) deutlich:
These 9.1: Der
Unterrichtseinstieg soll – mit unmittelbarer oder mit mittelbarer Hilfe des
Lehrers – die Schüler für das Thema und das Thema den Schülern erschliessen
Es geht um einen Prozess der doppelseitigen Annäherung (vgl. Klafki 1963, S.44 u.
S.134): Einerseits soll das Thema so aufbereitet werden, dass die Schüler in
den Stand versetzt sind, es möglichst selbsttätig anzueignen; andererseits
sollen sich auch die Schüler auf das Thema zubewegen; sie sollen neugierig und
kribbelig auf das werden, was da auf sie zukommen könnte.
In den seltenen Glücksstunden der Schule kann es auch
passieren, dass sich die Schüler selbst einen
Einstieg in ein neues Thema erarbeiten, so dass der Lehrer »nur« noch die
Moderation des Lernprozesses übernehmen muss. ...
. . .
Man mag die ländliche Idylle und die heile Welt kritisieren, die in
diesem 50 Jahre alten Beispiel zum Ausdruck kommt. Aber auch dann behält das
Beispiel seine Bedeutung. Es verdeutlicht im Kontrast die Schwäche vieler
Vorschläge und Konzepte für den Unterrichtseinstieg, die in der allgemein- und
fachdidaktischen Literatur gemacht werden: Sie denken vom Thema und/oder vom
Lehrer aus. Aber erst dann, wenn der Einstieg vom Schüler aus gedacht wird,
wird er gut!
1.2 Praktische Funktionsbestimmung
Zwischen den ausgeklügelten, manchmal auch didaktisch überfrachteten Unterrichtseinstiegen,
die in Prüfungsstundenentwürfen und didaktischen Materialien angeboten werden,
und den in langen Jahren der Unterrichtspraxis eingeschliffenen
Stundeneröffnungen besteht oft ein himmelweiter Unterschied. Man kann nicht
warten, bis alle
Schüler
motiviert und bei der Sache sind; es ist schier unmöglich, sämtliche relevanten Vorkenntnisse der
Schüler zu ermitteln und dann auch in der Einstiegsphase zu reaktivieren, usw.
Aber die in der Theorie entwickelten Modellvorstellungen und die in der Praxis
eingeschliffenen Muster des Unterrichtseinstiegs haben eines gemeinsam: An den
Vorschlägen zur Gestaltung des Unterrichtseinstiegs lassen sich die Charakteristika
und Akzentsetzungen dieser Modelle wie durch ein Brennglas vergrößert studieren.2 Und
auch aus der Art und Weise, in der ein routinierter Praktiker seine
Unterrichtseinstiege zu gestalten pflegt, können deutliche Rückschlüsse auf das
Fachverständnis und die Fachkompetenz, auf das Unterrichtsverständnis und
Schülerbild dieses Praktikers gezogen werden:
·
Der
eine Lehrer verzichtet auf jeden Motivations-Rummel, kommt sofort zur Sache,
überfällt die Schüler förmlich mit dem Thema und erzwingt so ihre
Aufmerksamkeit.
·
Der
andere Lehrer kommt ruhig und gelassen in die Klasse, erkundigt sich erst
einmal nach diesem oder jenem, macht diesen oder jenen Exkurs, um dann reichlich
spät, aber dafür in aufgeräumter Atmosphäre, mit der eigentlichen
Unterrichtsarbeit zu beginnen.
·
Der
eine Lehrer hat ein deduktives, der andere ein induktives Vorgehen
verinnerlicht; ersterer wird also mit begrifflich-abstrakten Vorklärungen, mit
Gesetzesformulierungen oder Grundstrukturen einsteigen; letzterer wird mit
Beispielen, Fällen, Anwendungsbezügen 0. ä. beginnen.
·
Der
eine Lehrer hat sich angewöhnt, bei der Einführung in ein neues Thema erst
einmal ein gelenktes Gespräch anzuzetteln und so lange raten und
fabulieren zu lassen, bis ein Schüler das neue Thema genannt hat, das dann an
der Tafel als Überschrift festgehalten wird. Der andere beginnt praktisch jede
Stunde mit einer knappen Information über den geplanten Stundenverlauf.
Lehrer entwickeln individuelle Stile der Phasierung des Unterrichts, die
deutlich machen, dass die in der Allgemeinen Didaktik in Jahrzehnte langer
Diskussion erarbeitete These der Wechselwirkung von Ziel-, Inhalts- und
Methodenentscheidungen (vgl. S.I, 92) in der Praxis nur unter Vorbehalt gilt:
Wenn immer wieder ähnliche Einstiegsformen gewählt werden, obwohl sich die
Inhalte fortwährend ändern, so verliert die Wechselwirkungsthese an Gültigkeit.
Dies dürfte daran liegen, dass aus Ziel- und Inhaltsentscheidungen keine
strengen Ableitungen zu treffen sind, vor allem aber daran, dass der
Unterrichtseinstieg mindestens ebenso deutlich durch die institutionellen
Rahmenbedingungen und die Lernvoraussetzungen der Schüler bestimmt wird. Ich
möchte diese These an einem krassen Beispiel verdeutlichen. Es geht um den
Einstieg in eine Sportstunde in der Grundschule. Dieser Einstieg ist nicht
frei erfunden, sondern er gibt wieder, wie der Autor selbst vor 20 Jahren an
einer niedersächsischen Volksschule unterrichtet hat.
Sportunterricht - Klasse 4
Die
Sportstunde beginnt bereits in der Pause: Die Mehrzahl der Schüler drängelt
sich schon minutenlang vor der auf dem Schulgelände befindlichen Turnhallentür.
Es
klingelt. Der Klassen- und Sportlehrer Meyer kommt zur Tür. Er schließt die Tür
auf, ermahnt dabei einzelne Schüler: <>He, Egon, wie oft soll ich dir das
noch sagen, dass an der Tür nicht so gedrängelt wird!«
Die
Schüler stürmen in die Umkleideräume. knallen ihren Turnschuhbeutel auf die
Bänke und ziehen sich blitzschnell um. (Nur eine kleinere Gruppe lässt sich
Zeit, trödelt, freut sich. wenn die stürmischeren Schüler raus sind.)
Der
Lehrer verschwindet im Lehrerraum. kommt einen kurzen Augenblick später mit
Trillerpfeife und drei oder vier Bällen unter dem Arm wieder.
Die
ersten in die Halle stürmenden Schüler erhalten die Bälle. Alle rennen
durcheinander, einige Schüler turnen durch das Geräteabteil, um die verlorenen
Bälle wieder zu holen. Die Trödler kommen in die Halle. Der Lehrer pflaumt sie
an: »Los, los! Seht zu, dass ihr auf Trab kommt!«
Nach drei oder vier Minuten
pfeift der Lehrer einmal kurz auf der Trillerpfeife, sagt kein weiteres Wort.
Die Schüler laufen weiter, formen aber einen Kreis und machen die Hoch- und
Strecksprünge nach, die ihnen der Lehrer vormacht. Es folgen Variationen des
Laufstils und einige gymnastische Übungen.
Nach abermals drei Minuten
läuft der Lehrer in die Mitte der Halle und hebt nur leise die Hand: Die
Schüler sammeln sich langsam um ihn herum, hocken sich hin und heben ebenfalls
eine Hand. Sie haben rote Gesichter, sind außer Puste.
Lehrer: »So, wir machen heute Bodenturnen. Holt bitte die Matten aus dem Geräteschuppen!
Ein bestimmtes fachdidaktisches Konzept ist in diesem Einstiegs-Beispiel
nicht zu erkennen. Der Einstieg spottet,
wie man so schön sagt, jeder Beschreibung. Kein Wunder - denn der Autor und
Lehrer hatte nie in seinem Leben irgendwelche sportpädagogische Ausbildung
genossen. Dennoch hat er jahrelang - und dies zur Zufriedenheit der
überwiegenden Zahl seiner Schüler - immer wieder, also zweimal jede Woche, denselben Einstieg praktiziert.
Warum? M. E. ist dieser Einstieg so »erfolgreich« gewesen, weil er
institutionelle Erfordernisse und die Bedürfnisse der Schüler auf einen Nenner gebracht hat:
·
Der
Einstieg ist hochgradig ritualisiert. Er funktioniert gerade deshalb so
gut, weil er immer wieder gleich abläuft. Der Lehrer schont dabei seine Stimme
und seine Nerven, und die Schüler wissen, was auf sie zukommt und können jede
Sekunde nutzen, um sich endlich auszutoben.
·
Die diffuse
Voreinstellung der Schüler, dass der Kopf für den Sportunterricht überflüssig
oder sogar hinderlich sei, wird durch diesen Einstieg verfestigt, statt dass
sie abgebaut würde. Sport-Treiben als tendenziell bewusstloses Toben drückt
zugleich ein bestimmtes Verhältnis von Lehrer und Schülern zum eigenen Körper
aus. Sportunterricht dieser Art fördert nicht die sinnlich-ganzheitliche
Körper-Seele-Entwicklung, sondern verschärft die durch Medienindustrie, kommerzialisierten
Freizeitsport und Körperfeindlichkeit der Gesellschaft produzierte falsche
kompensatorische Funktion des Sports: Er soll den ansonsten vorherrschenden
verkopften und entsinnlichten Unterricht erträglich machen.
·
Dieser
Einstieg spricht die Gefühle der Schüler an! Er sichert die emotionale
Umorientierung der Schüler vom üblichen Frontalunterricht mit seinem Zwang zum
Stillsitzen und Aufmerksamsein zum Turnhallen-Unterricht mit seinen deutlich
anderen Sozialformen und Kommunikationsstrukturen. Die feste Erwartungshaltung
der Schüler, jetzt erst einmal laufen, schreien, toben, klettern, rangeln und
schubsen zu dürfen, wird durch den Einstieg befriedigt.
·
Der
Einstieg diszipliniert die Schüler durch die Freigabe ihres
Bewegungsdranges. Der in der Pause beim langen Warten und Drängeln vor der
Turnhallentür entstandene Handlungsstau kann sich entladen. Es gab in den
ersten Minuten dieser Sportstunden ein geradezu explosionsartig ausbrechendes
Toben, Kreischen und Rasen. Die »eigentlich« vorgesehene Bodenturn-Übung wäre
nur mit drakonischen Disziplinierungsmaßnahmen als Einstieg realisierbar
gewesen. Erst Minuten später, nachdem sich die Schüler schnaufend, pustend und
kurzfristig erschöpft um den Lehrer versammelt hatten, waren sie bereit, sich
auf neue Übungen und Sportarten einzulassen.
Dieses Beispiel macht die in These 9.1 aufgestellte allgemeine
Funktionsbestimmung für Unterrichtseinstiege nicht hinfällig - aber es macht
deutlich, dass die »Erschließung« der Schüler für das neue Thema zunächst
einmal in einem handfest-banalen Sinne darin bestehen muss, sie zu dirigieren,
zu formieren und zu disziplinieren. Sportunterricht hat in dieser Hinsicht nur
scheinbar einen Sonderstatus. In vielen anderen Fächern finden sich im Prinzip
gleiche »Schrotschuss-Einstiege«:
·
Die
5 Minuten Kopfrechnen, mit denen viele Mathematiklehrer in der Grundschule und
in der Sekundarstufe 1 den Unterricht einleiten, dienen nicht nur der Übung von
Rechenfertigkeiten, sondern auch der Disziplinierung und der geistigen Umorientierung
der Schüler auf das Fach.
·
Das
übende Wiederholen, das Vokabel- oder Geschichtszahlenabfragen, das Singen eines
Liedes haben eine vergleichbare Funktion; vielleicht kann sogar die in
regelmäßigen Abständen wiederholte »Standpauke« des Lehrers das gleiche
ausrichten.
Von einer gezielten Vorbereitung auf das neue Thema kann bei diesen Einstiegsformen keine
Rede sein; vielleicht funktionieren sie gerade deshalb so gut, weil sie
unspezifisch sind. Solche Einstiege haben eher die Aufgabe, den Seelen-,
Körper- und Pausenschutt beiseite zuräumen, der den »eigentlichen« Beginn der
Arbeit behindert.
These 92: Unterrichtseinstiege dienen der Formierung der Sinne
und der Stillstellung der Schüler-Körper. Sie haben sowohl eine Erschießungs-
als auch eine Disziplinierungsfunktion.
Deshalb ist der skizzierte Einstieg in die Sportstunde
gar nicht so übel, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag: Solange die
institutionellen und curricularen Rahmenbedingungen des Unterrichts ein sinnlich-ganzheitliches,
selbsttätiges und ansatzweise selbstbestimmtes Lernen der Schüler über weite
Strecken unmöglich machen, kann auf die Disziplinierungsfunktion und auf die
Ritualisierung des Unterrichtseinstiegs kaum verzichtet werden.
Beispiele
Die folgende, bunt durcheinandergewürfelte Liste mit Einstiegsbeispielen
bringt zunächst (1) konventionelle, zumeist stark lehrerzentrierte und verkopfte,
dann (2) sinnlich-anschauliche,
aber immer noch vorrangig auf die kognitive Information über das neue Thema
ausgerichtete Beispiele; erst die dritte Gruppe (3) führt Beispiele vor, in
denen die Schüler durch ihr Handeln in die Themenerschließung eingebunden,
allerdings stark vom Lehrer gelenkt werden; die vierte und letzte Gruppe zeigt
(4) schüleraktive Einstiegsmuster, bei denen die inhaltliche Lenkung des
Lehrers in den Hintergrund tritt. Die im Abschnitt 1.3 formulierten
didaktischen Kriterien werden also nur von einigen der Beispiele voll erfüllt.
Zunächst also die (1) konventionellen, stark lehrerzentrierten und verkopften
Einstiegsformen:
· Übende Wiederholung
Die mündliche
Wiederholung des in der letzten Stunde Durchgenommenen ist wahrscheinlich, rein
quantitativ betrachtet, die allerwichtigste Einstiegsform! Wiederholungen
machen aus dem Unterricht so etwas wie einen Fortsetzungsroman, bei dem
ja auch jeweils eine Kurzinformation über den bisherigen Romanablauf
vorausgeschickt wird. Wiederholungen sollen die durch den 45-Minuten-Takt des
Schulvormittags entstandene Zerstückelung der Sachbezüge ein Stück weit
kompensieren. Diese Aufgabe erfüllen sie aber nur dann, wenn wirklich alle
Schüler zuhören. Professionelle Schüler hören oft aber nur so lange zu, bis der
Lehrer entschieden hat, wer mit dem Wiederholen dran ist. Danach wenden sie
sich wieder ihren Nebentätigkeiten zu.
· Hausaufgabenkontrolle
Eine Variante der übenden Wiederholung ist die
Hausaufgabenkontrolle zu Stundenbeginn. Sie ist dann sinnvoll, wenn die
Hausaufgaben so gestellt wurden, dass sie ohne Umwege auf das neue Stundenziel
hinführen. Sie wird dann problematisch, wenn bei der Kontrolle viele' Fehler
zutage treten, die dann zu längeren Wiederholungen und Richtigstellungen
zwingen. Sie wird erst richtig problematisch, wenn sie lediglich zur
Demonstration der Macht des Lehrers genutzt wird. Immer dann, wenn die
Hausaufgaben keinen unmittelbaren Bezug zum neuen Thema haben, sollte ihre
Kontrolle außerhalb der Unterrichtsstunde stattfinden! Diese Forderung ist
wenig populär, weil sie den Lehrer viel Zeit kostet, die investierte Mehrarbeit
lohnt sich aber fast immer! Sie können in Ruhe überprüfen, welchen
Leistungsstand die Schüler erreicht haben. Die Phase der Hausaufgabenkontrolle
ist oft auch ein willkommener Anlass für unruhige und undisziplinierte
Schüler, Unsinn zu treiben. (Lehrer, die während der Stunde einen großen
Anteil organisatorischer Aufgaben erledigen, haben mehr
Disziplinschwierigkeiten als jene, die zügig zur Erarbeitung des neuen Stoffes
übergehen....
· Informierender
Unterrichtseinstieg
Der Lehrer ist verpflichtet,
seine Schüler über die vorgesehenen Unterrichtsinhalte und über den
geplanten Unterrichtsverlauf zu informieren (s. o.)! Ich habe mir in der Schule
angewöhnt und dann auch im Hochschul-Lehrbetrieb aufrecht erhalten, jeweils
einige Minuten vor Sitzungsbeginn in den Seminarraum oder Hörsaal zu kommen und
an der Tafel den geplanten Sitzungsverlauf festzuhalten.
Das Konzept des Informierenden Unterrichtseinstiegs ist einseitig
kognitiv orientiert. Dies ist seine Stärke und Schwäche zugleich. Er bietet
sich bei älteren und leistungsorientierten Schülern an. Er kann aber bei
jüngeren, bei leistungsschwächeren oder bei undisziplinierten Schülern auch
schnell zu einem routinierten Ritual verkommen, das nur noch dem Lehrer hilft,
seine Maßnahmen durchzudrücken, ohne den Schülern eine echte Chance zu geben,
sich in die gestellte Lernaufgabe hineinzudenken. - Es muss also ein Klima
geschaffen werden, in dem die Schüler zur Überprüfung und Kritik der
Planungsvorgaben geradezu provoziert werden.
Die nun folgenden fünf Beispiele für Einstiege sind immer noch einseitig
auf die Information des Schülers über den neuen Unterrichtsstoff
bezogen, sie verpacken diese Information jedoch in lebendige, visuell anregende
Formen.
· Interview
Experten (Eltern, andere Lehrer, Fachleute vor Ort, Bildungspolitiker
usw.) werden zu Beginn einer neuen Unterrichtseinheit eingeladen und von den
Schülern »nach Strich und Faden« ausgefragt. Dies kann viel Spaß machen, wenn
die Schüler Vorerfahrungen und Interessen mitbringen. Dies funktioniert
selbstverständlich nicht, wenn das Thema für die Schüler völlig fremd ist (vgl.
Wallrabenstein 1975; Bayer 1977).
· Reportage
Der Lehrer, noch besser: einige Schüler zusammen mit dem Lehrer haben
sich schon einige Tage vorher in das neue Unterrichtsthema eingearbeitet und
nach dem Muster von Rundfunk-Reportagen eine Kurzinformation zum Thema
zusammengestellt, vielleicht auch einen Experten oder Zeitzeugen interviewt.
Vielleicht haben sie auch - z. B. bei historischen oder geographischen Themen
- einen fiktiven Dialog geführt, in dem das neue Thema zur Sprache
kommt.
Eine Alternative stellt die Zeitungs-Reportage
dar: Der Lehrer produziert ein Arbeitsblatt mit
Fotos/Zeitungsartikeln/Interviews usw., das die Neugier und Fragehaltung der
Schüler zu wecken erlaubt.
· Thematische Landkarte
Die vier diesem Buch beigefügten
DIDAKTISCHEN LANDKARTEN sind Beispiele für diese Einstiegsform. Nun muss es
nicht immer um so aufwendige Muster gehen. Man kann eine einfache, ohne große
zeichnerische Talente ausgeführte Zeichnung machen und dann den Schülern wie
eine Speisekarte
vorlegen.
Ein solcher
Einstieg kann mehrere didaktische Funktionen erfüllen:
·
Er
gibt einen ersten informativen Überblick über die Thematik.
·
Er
kann sehr viel genauer als jedes Lehrbuch auf die Lernvoraussetzungen und
Interessen des Lehrers und der Schüler zugeschnitten werden.
·
Das,
was im Lehrervortrag hintereinander gesagt (und oft entsprechend schnell vergessen)
wird, ist nun zeitgleich sichtbar und deshalb leichter zu hinterfragen und zu
beurteilen.
·
Differenziert
gezeichnete Karten können witzig, interessant, einladend sein; sie erhalten einen ästhetischen Reiz,
können im
Klassenzimmer oder zu Hause am Arbeitsplatz an die Wand gepinnt werden.
·
Die
Karte kann in späteren Phasen der Unterrichtseinheit immer wieder herangezogen
werden, um die Auswertung zu strukturieren oder um kurze Planungsbesprechungen
über das weitere Vorgehen zu machen.
· Comics, Cartoons, Karikaturen
Gute Comics, Cartoons und Karikaturen bringen ein Problem
komprimiert, provokativ und zumeist auch witzig-ironisch auf den Punkt. Deshalb
bieten sie sich in vielen Fällen für einen Einstieg in ein neues Thema an.
· Lehrfilm
Es gibt kein Schulfach und kaum ein Unterrichtsthema, zu dem nicht inzwischen
hochwertige Lehrfilme existierten. Sie haben den Vorteil, dem Lehrer viel
Arbeit in der Materialaufbereitung abzunehmen, sie haben den Nachteil, nie
hundertprozentig auf die jeweiligen Lernvoraussetzungen der Schüler zugeschnitten
zu sein.
Ein qualitativer Sprung in der Gestaltung von Unterrichtseinstiegen
liegt bei den nun folgenden Beispielen vor: Es wird nicht nur mündlich,
schriftlich oder bildlich darüber informiert, was der Inhalt der neuen
Unterrichtseinheit ist, sondern durch einen schüleraktiven, handelnden Umgang
die Gelegenheit gegeben, an sich selbst zu erfahren, worum es beim
neuen Thema geht.
· Einen Widerspruch konstruieren
Man kann zu Beginn der Erarbeitung eines neuen Themas einen scheinbaren,
aufgrund fehlender Vorkenntnisse der Schüler nicht sofort lösbaren Widerspruch
konstruieren und die Neugierde der Schüler nutzen, um das Thema in den
Fragehorizont der Schüler zu rücken.
· Verrätseln
Rätselraten macht Spaß - für Lehrer wie für Schüler. Und es ist oft -
nicht immer - lehrreich! (Die Lehrerfrage: »Rate mal, was du in der Mathearbeit
hast!« weckt zwar Gefühle, aber lehrt nichts!)
· Verfremden
Verfremdung ist nur dort möglich, wo etwas vertraut, lieb und alt
bekannt ist. Der Lehrer, der einen Sachverhalt oder eine Fragehaltung seiner
Schüler verfremden will, muss ihre Alltagserfahrung, ihre Deutungsmuster und
Klischeevorstellungen genau kennen: »Neue Inhalte zu verfremden, ist
unökonomisch oder sogar unmöglich: verfremden sollte man, wenn überhaupt, was,
wie Hegel gesagt hat, bekannt, aber eben deshalb nicht erkannt ist.
Verfremdung ist vornehmlich ein Instrument, um Selbstverständliches
kaputtzumachen« (Henningsen 1974, S.136). Deshalb ist pädagogischer Takt
erforderlich, wenn man im Unterricht mit Verfremdungen arbeiten will.
· Provozieren
Das Provozieren
ist eine Variante der Verfremdung. Nicht der Inhalt oder die Methode seiner
Aneignung werden verfremdet, sondern die Schüler selbst!
· Bluffen und Täuschen
Das Bluffen und Täuschen ist eine intensivierte und durchaus riskante Steigerungsform des Provozierens.
Die Schüler werden absichtlich hereingelegt, um ihnen »einen Denkzettel zu
verpassen«. Dies funktioniert aber nur unter günstigen Umständen.
Das Provozieren, das Verwirren, Bluffen und Täuschen stellen riskante
Formen des Unterrichtseinstiegs dar, weil hier mit den Gefühlen der Schüler
gespielt wird. Die Gefahr der Verärgerung und, in ihrem Gefolge, der Lernblockierung
der Schüler ist entsprechend groß. Man muss seine Schüler sehr gut kennen, mit
Fingerspitzengefühl vorgehen und bereit sein, den Einstieg bei unerwarteten
Reaktionen der Schüler vorzeitig abzubrechen.
Die im letzten Block genannten Beispiele für Unterrichtseinstiege erlauben
den Schülern zwar einen handelnden bzw. erfahrungsbezogenen Umgang mit dem
neuen Thema, sie sind jedoch stark lehrerzentriert; der Lehrer hält alle Fäden
in der Hand; er überrascht, ja überrumpelt die Schüler mit seiner
Fragestellung. In den nun folgenden Beispielen ist dies anders: Sie sind so
konstruiert, dass die Schüler einen großen Einfluss darauf haben, welche
Fragen gestellt und welche Inhalte thematisiert werden.
· Vorkenntnisse abfragen
Die langweiligste Form, einen solchen Einstieg zu gestalten, besteht darin, dass der Lehrer die
Vorkenntnisse der Schüler erfragt und in Stichworten an der Tafel festhält.
Diese Einstiegsform erfordert wenig Vorbereitung des Lehrers. Sie ist einfach
zu handhaben, bleibt aber problematisch, weil nahezu unweigerlich beim
Festhalten der Stichworte an der Tafel vom Lehrer (oder vom dazu
abkommandierten Schüler) eine mehr oder weniger willkürliche Auswahl
vorgenommen wird. Zusätzlich tritt ein »Egalisierungseffekt« ein: Schüler, die
eigentlich abweichende Informationen oder Einstellungen haben, unterdrücken
ihre Veröffentlichung, weil sie aus den bereits vorliegenden Informationen der
Mitschüler entnehmen, dass ihre eigene Meinung abwegig oder inopportun sein
könnte.
· Karteikarten-Spiel
Beim
Karteikarten-Spiel werden die oben genannten Schwierigkeiten vermieden:
Der Lehrer verteilt an alle
Schüler Karteikarten und fordert sie auf, ihre eigene Meinung zum
Thema oder das, was sie schon von dem Thema
wissen, vielleicht auch das, was sie noch
gern wissen würden, gut
leserlich aufzuschreiben (also: mit dickem Filzstift!).
Die fertig beschriebenen
Karten werden nach vorn gebracht und mit Tesaband an die Tafel geklebt.
Entweder
der Lehrer oder auch Lehrer und Schüler gemeinsam gehen dann daran, diese
Karten thematisch zu ordnen, Pro- und Contra-Argumente herauszufiltern, Überschriften
zu sammeln usw.
Dazu bilden die Schüler einen
Halbkreis um die Tafel, damit alle Karten auch tatsächlich
gelesen werden können.
· Themenzentrierte
Selbstdarstellung
Bei vielen
sozialkundlichen, historischen, politischen, philosophischen und religiösen
Themenstellungen kann erwartet werden, dass die Schüler schon vor Beginn der
Unterrichtsarbeit eine mehr oder weniger differenzierte (oft aber auch
einseitige oder dogmatische) Einstellung zum Thema haben. Es ist wichtig, dass
diese Einstellung unverzerrt auf den Tisch kommt und so dokumentiert wird,
dass an ihr weitergearbeitet werden kann. Dazu dient die themenzentrierte
Selbstdarstellung:
In Klassen bzw. Kursen oder Projektgruppen, die neu zusammengesetzt
worden sind, kann die Selbstdarstellung der Person und ihrer Biographie im Vordergrund
stehen; dort, wo sich Lehrer und Schüler schon lange kennen, wird die subjektive
Sicht auf das neue Unterrichts-thema in den Vordergrund zu rücken sein.
· Vergleichen
und Kontrastieren
Der
Unterrichtseinstieg soll anregungsreich sein. »Leere-Blatt-Situationen«, in
denen die Schüler aus dem Nichts differenzierte Problemformulierungen oder
Fragen entwickeln sollen, stellen fast immer eine Überforderung dar (s. o.). Es
ist sinnvoller, den Schülern ein anregungsreiches, vielfältiges Material vorzugeben,
anhand dessen sie ihre eigenen Vorlieben, Interessen und Fragestellungen
entwickeln können.
Bei diesem Einstieg kommt es natürlich darauf an, dass die vom Lehrer mitgebrachten
Fotos und Bilder geschickt ausgewählt sind: Sie müssen einerseits die Interessen
und Vorkenntnisse der Schüler aufgreifen, sie müssen andererseits die Bandbreite der
vom Lehrer vorgesehenen Thematik dieser Unterrichtseinheit abdecken.
· Sortieren/Auswählen/Entscheiden
Eine methodisch anspruchsvollere Variante der oben skizzierten
Karteikarten-Spiele liegt dann vor, wenn die Schüler den Auftrag erhalten, Ordnung
in eine vom Lehrer produzierte Unordnung zu bringen.
· Programmvorschau
Es ist in vielen Fällen sinnvoll, lange vor Beginn der Arbeit an einem
neuen Thema eine Voraus-Information zu starten, um die Schüler zu orientieren,
was in den nächsten Wochen und Monaten auf sie zukommt. Die neuen Themen
werden sozusagen leicht »angebrütet«. Dies hat den Vorteil, dass neugierige
Schüler schon mal außerhalb des Unterrichts nach verwandten Themenbereichen,
nach Fernseh- oder Zeitungsberichten zum Thema, nach praktischen
Anwendungsbezügen Ausschau halten können.
· Vorwegnahme
Der Lehrer produziert bzw. besorgt einen knappen, informierenden
Überblick über das neue Thema und gibt ihn den Schülern einige Tage vor Beginn
der Arbeit am neuen Thema an die Rand:
· Themenbörse
Der Lehrer will bestimmte Themen in Form von
Schülerreferaten, Erkundungsaufträgen oder freiwilligen Hausaufgaben vergeben.
Er bündelt alle diese Aufträge und veranstaltet eine Themenbörse.
· Schnupperstunde
In jenen Fächern, in denen die Richtlinien und Schulbücher größere
Freiräume lassen, kann der Lehrer in einer Extra-Stunde mögliche neue Themen
kurz vorführen und die Schüler schnuppern lassen, was da auf sie zukommen
könnte. Je nach Alter und Motivationslage der Schüler sollte diese Schnupperstunde
unterschiedlich methodisch gestaltet werden.
· Völliger Verzicht auf den
Unterrichtseinstieg?
Man kann in einer Reihe von Fällen auf eine formal ausgegrenzte
Einstiegsphase
verzichten.
Erst recht kann in vielen Fällen auf eine lehrerzentrierte Einstiegsphase
verzichtet werden:
·
Wenn
die Schüler schon Feuer und Flamme sind, bevor der Unterricht richtig angefangen
hat, ist eine umständliche Motivationsphase wirklich unangebracht;
·
wenn
ein Thema »vom Schwanze aus aufgezäumt wird«, wenn also die Übungsphase an den
Anfang rutscht oder wenn ein eigentlich für die Ergebnissicherung vorgesehenes
Anwendungsproblem zu Beginn der Beschäftigung mit dem neuen Thema von den
Schülern eingebracht wird, kann ein Lehrer, der sich fachlich und methodisch
sicher fühlt, seine ganze Planung blitzschnell umdrehen. Dann wird jedoch die
sogenannte Anwendung zum Einstieg!
Ein wirklicher Verzicht auf die Erschließung des Themas liegt in all
diesen Fällen aber nicht vor! Die Erschließung erfolgt nur an anderem Ort und
zu anderer Zeit und mit anderen Beteiligten.