Hilbert Meyer, „Unterrichtsmethoden – Bd.II, Praxisband“; Berlin 1987; S. 122 ff

 

1. Unterrichtseinstieg

 

1.1  Theoretische Funktionsbestimmung

 

Der Unterrichtseinstieg ist - wie der Name sagt - dazu da, den Schülern den Einstieg in ein neues Thema bzw. eine neue Lernaufgabe zu erschließen. Er ist sozusagen das »Tor«, durch das der Schüler in die neue Lern-Land­schaft hinauswandert, oder die »Hefe«, die den angerührten Teig zum Auf­gehen bringt.

Der Begriff bezeichnet einen bestimmten Schritt bzw. eine Stufe oder Pha­se des Unterrichts - in diesem Falle den ersten. Man könnte begrifflich und inhaltlich zwischen dem »Stundeneinstieg« und dem »Einstieg in ein neues Thema« unterscheiden. Aus reinen Platzgründen wird darauf in dieser Lek­tion verzichtet. Es geht im folgenden also sowohl um Stundenanfänge wie auch um Einstiege in größere Themenkomplexe.

Der Einstieg soll das neue Thema für die Schüler auf- oder erschließen. In der didaktisch-methodischen Literatur1 wird diese Grundfunktion des Erschließens in eine Reihe von Teilfunktionen aufgeschlüsselt:

 

·        Der Einstieg soll bei den Schülern eine Fragehaltung wecken.

·        Er soll die Schüler neugierig machen.

·        Er soll das Interesse und die Aufmerksamkeit auf das neue Thema, auf das zu lösende Problem, auf die zu erwerbende Qualifikation lenken.

·        Er soll die Schüler über den geplanten Unterrichtsverlauf informieren.

·        Er soll die Vorkenntnisse und Vorerfahrungen zum Thema in Erinnerung rufen.

·        Er soll die Verantwortungsbereitschaft der Schüler wecken; sie sollen die Chance wahr­nehmen, mitzuplanen und mitzureden.

·        Der Einstieg kann unter Umständen auch aus einer Provokation der Schüler bestehen. Dann hat er die Funktion, vertraute und liebgewordene Vorstellungen zu verfremden.

·        Häufig hat der Einstieg zusätzlich die Funktion, das, was schon bekannt ist, mit dem, was neu erarbeitet werden soll, zu verknüpfen. Der Einstieg leistet dann eine Vernet­zung von Ergebnissicherung und Neuanfang (z.B. in der übenden Wiederholung oder in der Hausaufgabenkontrolle zu Stundenbeginn).

 

Der Einstieg hat nicht nur eine kognitive, sondern auch eine affektive (= auf Gefühle, Einstellungen und Werthaltungen bezogene) und manchmal auch eine psychomotorische (= auf die Verbindung von Kopf- und Handarbeit zielende) Dimension. Dies machen auch die in diesem Buch über Unter­richtsmethoden enthaltenen Einstiege (z.B. die der DIDAKTISCHEN LANDKAR­TEN oder das zu Beginn der VIERZEHNTEN LEKTION vorgeschlagene Experiment zur Körpersprache) deutlich:

 

These 9.1: Der Unterrichtseinstieg soll – mit unmittelbarer oder mit mittelbarer Hilfe des Lehrers – die Schüler für das Thema und das Thema den Schülern erschliessen

 

Es geht um einen Prozess der doppelseitigen Annäherung (vgl. Klafki 1963, S.44 u. S.134): Einerseits soll das Thema so aufbereitet werden, dass die Schüler in den Stand versetzt sind, es möglichst selbsttätig anzueignen; ande­rerseits sollen sich auch die Schüler auf das Thema zubewegen; sie sollen neugierig und kribbelig auf das werden, was da auf sie zukommen könnte.

In den seltenen Glücksstunden der Schule kann es auch passieren, dass sich die Schüler selbst einen Einstieg in ein neues Thema erarbeiten, so dass der Lehrer »nur« noch die Moderation des Lernprozesses übernehmen muss. ...

. . .

 

Man mag die ländliche Idylle und die heile Welt kritisieren, die in diesem 50 Jahre alten Beispiel zum Ausdruck kommt. Aber auch dann behält das Beispiel seine Bedeutung. Es verdeutlicht im Kontrast die Schwäche vieler Vorschläge und Konzepte für den Unterrichtseinstieg, die in der allgemein- und fachdidaktischen Literatur gemacht werden: Sie denken vom Thema und/oder vom Lehrer aus. Aber erst dann, wenn der Einstieg vom Schüler aus gedacht wird, wird er gut!

 

1.2  Praktische Funktionsbestimmung

 

Zwischen den ausgeklügelten, manchmal auch didaktisch überfrachteten Un­terrichtseinstiegen, die in Prüfungsstundenentwürfen und didaktischen Mate­rialien angeboten werden, und den in langen Jahren der Unterrichtspraxis eingeschliffenen Stundeneröffnungen besteht oft ein himmelweiter Unter­schied. Man kann nicht warten, bis alle Schüler motiviert und bei der Sache sind; es ist schier unmöglich, sämtliche relevanten Vorkenntnisse der Schüler zu ermitteln und dann auch in der Einstiegsphase zu reaktivieren, usw. Aber die in der Theorie entwickelten Modellvorstellungen und die in der Praxis eingeschliffenen Muster des Unterrichtseinstiegs haben eines gemeinsam: An den Vorschlägen zur Gestaltung des Unterrichtseinstiegs lassen sich die Cha­rakteristika und Akzentsetzungen dieser Modelle wie durch ein Brennglas vergrößert studieren.2 Und auch aus der Art und Weise, in der ein routinier­ter Praktiker seine Unterrichtseinstiege zu gestalten pflegt, können deutliche Rückschlüsse auf das Fachverständnis und die Fachkompetenz, auf das Un­terrichtsverständnis und Schülerbild dieses Praktikers gezogen werden:

 

·        Der eine Lehrer verzichtet auf jeden Motivations-Rummel, kommt sofort zur Sache, überfällt die Schüler förmlich mit dem Thema und erzwingt so ihre Aufmerksamkeit.

·        Der andere Lehrer kommt ruhig und gelassen in die Klasse, erkundigt sich erst einmal nach diesem oder jenem, macht diesen oder jenen Exkurs, um dann reichlich spät, aber dafür in aufgeräumter Atmosphäre, mit der eigentlichen Unterrichtsarbeit zu begin­nen.

·        Der eine Lehrer hat ein deduktives, der andere ein induktives Vorgehen verinnerlicht; ersterer wird also mit begrifflich-abstrakten Vorklärungen, mit Gesetzesformulierungen oder Grundstrukturen einsteigen; letzterer wird mit Beispielen, Fällen, Anwendungsbe­zügen 0. ä. beginnen.

·        Der eine Lehrer hat sich angewöhnt, bei der Einführung in ein neues Thema erst einmal ein gelenktes Gespräch anzuzetteln und so lange raten und fabulieren zu lassen, bis ein Schüler das neue Thema genannt hat, das dann an der Tafel als Überschrift festgehalten wird. Der andere beginnt praktisch jede Stunde mit einer knappen Information über den geplanten Stundenverlauf.

 

Lehrer entwickeln individuelle Stile der Phasierung des Unterrichts, die deutlich machen, dass die in der Allgemeinen Didaktik in Jahrzehnte langer Diskussion erarbeitete These der Wechselwirkung von Ziel-, Inhalts- und Methodenentscheidungen (vgl. S.I, 92) in der Praxis nur unter Vorbehalt gilt: Wenn immer wieder ähnliche Einstiegsformen gewählt werden, obwohl sich die Inhalte fortwährend ändern, so verliert die Wechselwirkungsthese an Gültigkeit. Dies dürfte daran liegen, dass aus Ziel- und Inhaltsentscheidun­gen keine strengen Ableitungen zu treffen sind, vor allem aber daran, dass der Unterrichtseinstieg mindestens ebenso deutlich durch die institutionellen Rahmenbedingungen und die Lernvoraussetzungen der Schüler bestimmt wird. Ich möchte diese These an einem krassen Beispiel verdeutlichen. Es geht um den Einstieg in eine Sportstunde in der Grundschule. Dieser Ein­stieg ist nicht frei erfunden, sondern er gibt wieder, wie der Autor selbst vor 20 Jahren an einer niedersächsischen Volksschule unterrichtet hat.

 

Sportunterricht - Klasse 4

 

Die Sportstunde beginnt bereits in der Pause: Die Mehrzahl der Schüler drängelt sich schon minutenlang vor der auf dem Schulgelände befindlichen Turnhallentür.

Es klingelt. Der Klassen- und Sportlehrer Meyer kommt zur Tür. Er schließt die Tür auf, ermahnt dabei einzelne Schüler: <>He, Egon, wie oft soll ich dir das noch sagen, dass an der Tür nicht so gedrängelt wird!«

Die Schüler stürmen in die Umkleideräume. knallen ihren Turnschuhbeutel auf die Bänke und ziehen sich blitzschnell um. (Nur eine kleinere Gruppe lässt sich Zeit, trödelt, freut sich. wenn die stürmischeren Schüler raus sind.) 

Der Lehrer verschwindet im Lehrerraum. kommt einen kurzen Augenblick spä­ter mit Trillerpfeife und drei oder vier Bällen unter dem Arm wieder. 

Die ersten in die Halle stürmenden Schüler erhalten die Bälle. Alle rennen durcheinander, einige Schüler turnen durch das Geräteabteil, um die verlorenen Bälle wieder zu holen. Die Trödler kommen in die Halle. Der Lehrer pflaumt sie an: »Los, los! Seht zu, dass ihr auf Trab kommt!«

Nach drei oder vier Minuten pfeift der Lehrer einmal kurz auf der Trillerpfeife, sagt kein weiteres Wort. Die Schüler laufen weiter, formen aber einen Kreis und machen die Hoch- und Strecksprünge nach, die ihnen der Lehrer vormacht. Es folgen Variationen des Laufstils und einige gymnastische Übungen.

Nach abermals drei Minuten läuft der Lehrer in die Mitte der Halle und hebt nur leise die Hand: Die Schüler sammeln sich langsam um ihn herum, hocken sich hin und heben ebenfalls eine Hand. Sie haben rote Gesichter, sind außer Puste.

Lehrer: »So, wir machen heute Bodenturnen. Holt bitte die Matten aus dem Geräteschuppen!

 

 

Ein bestimmtes fachdidaktisches Konzept ist in diesem Einstiegs-Beispiel nicht zu erkennen. Der Einstieg spottet, wie man so schön sagt, jeder Beschreibung. Kein Wunder - denn der Autor und Lehrer hatte nie in sei­nem Leben irgendwelche sportpädagogische Ausbildung genossen. Dennoch hat er jahrelang - und dies zur Zufriedenheit der überwiegenden Zahl seiner Schüler - immer wieder, also zweimal jede Woche, denselben Einstieg prak­tiziert. Warum? M. E. ist dieser Einstieg so »erfolgreich« gewesen, weil er institutionelle Erfordernisse und die Bedürfnisse der Schüler auf einen Nen­ner gebracht hat:

 

·        Der Einstieg ist hochgradig ritualisiert. Er funktioniert gerade deshalb so gut, weil er immer wieder gleich abläuft. Der Lehrer schont dabei seine Stimme und seine Nerven, und die Schüler wissen, was auf sie zukommt und können jede Sekunde nutzen, um sich endlich auszutoben.

·        Die diffuse Voreinstellung der Schüler, dass der Kopf für den Sportunterricht überflüs­sig oder sogar hinderlich sei, wird durch diesen Einstieg verfestigt, statt dass sie abge­baut würde. Sport-Treiben als tendenziell bewusstloses Toben drückt zugleich ein be­stimmtes Verhältnis von Lehrer und Schülern zum eigenen Körper aus. Sportunterricht dieser Art fördert nicht die sinnlich-ganzheitliche Körper-Seele-Entwicklung, sondern verschärft die durch Medienindustrie, kommerzialisierten Freizeitsport und Körperfeindlichkeit der Gesellschaft produzierte falsche kompensatorische Funktion des Sports: Er soll den ansonsten vorherrschenden verkopften und entsinnlichten Unterricht erträglich machen.

·        Dieser Einstieg spricht die Gefühle der Schüler an! Er sichert die emotionale Umorien­tierung der Schüler vom üblichen Frontalunterricht mit seinem Zwang zum Stillsitzen und Aufmerksamsein zum Turnhallen-Unterricht mit seinen deutlich anderen Sozialfor­men und Kommunikationsstrukturen. Die feste Erwartungshaltung der Schüler, jetzt erst einmal laufen, schreien, toben, klettern, rangeln und schubsen zu dürfen, wird durch den Einstieg befriedigt.

·        Der Einstieg diszipliniert die Schüler durch die Freigabe ihres Bewegungsdranges. Der in der Pause beim langen Warten und Drängeln vor der Turnhallentür entstandene Handlungsstau kann sich entladen. Es gab in den ersten Minuten dieser Sportstunden ein geradezu explosionsartig ausbrechendes Toben, Kreischen und Rasen. Die »eigent­lich« vorgesehene Bodenturn-Übung wäre nur mit drakonischen Disziplinierungsmaß­nahmen als Einstieg realisierbar gewesen. Erst Minuten später, nachdem sich die Schü­ler schnaufend, pustend und kurzfristig erschöpft um den Lehrer versammelt hatten, waren sie bereit, sich auf neue Übungen und Sportarten einzulassen.

 

Dieses Beispiel macht die in These 9.1 aufgestellte allgemeine Funktionsbe­stimmung für Unterrichtseinstiege nicht hinfällig - aber es macht deutlich, dass die »Erschließung« der Schüler für das neue Thema zunächst einmal in einem handfest-banalen Sinne darin bestehen muss, sie zu dirigieren, zu for­mieren und zu disziplinieren. Sportunterricht hat in dieser Hinsicht nur scheinbar einen Sonderstatus. In vielen anderen Fächern finden sich im Prin­zip gleiche »Schrotschuss-Einstiege«:

 

·        Die 5 Minuten Kopfrechnen, mit denen viele Mathematiklehrer in der Grundschule und in der Sekundarstufe 1 den Unterricht einleiten, dienen nicht nur der Übung von Rechenfertigkeiten, sondern auch der Disziplinierung und der geistigen Umorientierung der Schüler auf das Fach.

·        Das übende Wiederholen, das Vokabel- oder Geschichtszahlenabfragen, das Singen ei­nes Liedes haben eine vergleichbare Funktion; vielleicht kann sogar die in regelmäßigen Abständen wiederholte »Standpauke« des Lehrers das gleiche ausrichten.

 

Von einer gezielten Vorbereitung auf das neue Thema kann bei diesen Ein­stiegsformen keine Rede sein; vielleicht funktionieren sie gerade deshalb so gut, weil sie unspezifisch sind. Solche Einstiege haben eher die Aufgabe, den Seelen-, Körper- und Pausenschutt beiseite zuräumen, der den »eigentlichen« Beginn der Arbeit behindert.

 

 

These 92: Unterrichtseinstiege dienen der Formierung der Sinne und der Stillstellung der Schüler-Körper. Sie haben sowohl eine Erschie­ßungs- als auch eine Disziplinierungsfunktion.

 

 

Deshalb ist der skizzierte Einstieg in die Sportstunde gar nicht so übel, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag: Solange die institutionellen und curricu­laren Rahmenbedingungen des Unterrichts ein sinnlich-ganzheitliches, selbsttätiges und ansatzweise selbstbestimmtes Lernen der Schüler über weite Strecken unmöglich machen, kann auf die Disziplinierungsfunktion und auf die Ritualisierung des Unterrichtseinstiegs kaum verzichtet werden.

 

 

 

Beispiele

 

Die folgende, bunt durcheinandergewürfelte Liste mit Einstiegsbeispielen bringt zunächst (1) konventionelle, zumeist stark lehrerzentrierte und ver­kopfte, dann (2) sinnlich-anschauliche, aber immer noch vorrangig auf die kognitive Information über das neue Thema ausgerichtete Beispiele; erst die dritte Gruppe (3) führt Beispiele vor, in denen die Schüler durch ihr Handeln in die Themenerschließung eingebunden, allerdings stark vom Lehrer ge­lenkt werden; die vierte und letzte Gruppe zeigt (4) schüleraktive Einstiegs­muster, bei denen die inhaltliche Lenkung des Lehrers in den Hintergrund tritt. Die im Abschnitt 1.3 formulierten didaktischen Kriterien werden also nur von einigen der Beispiele voll erfüllt. Zunächst also die (1) konventionel­len, stark lehrerzentrierten und verkopften Einstiegsformen:

 

·  Übende Wiederholung

Die mündliche Wiederholung des in der letzten Stunde Durchgenommenen ist wahrscheinlich, rein quantitativ betrachtet, die allerwichtigste Einstiegs­form! Wiederholungen machen aus dem Unterricht so etwas wie einen Fortsetzungsroman, bei dem ja auch jeweils eine Kurzinformation über den bis­herigen Romanablauf vorausgeschickt wird. Wiederholungen sollen die durch den 45-Minuten-Takt des Schulvormittags entstandene Zerstückelung der Sachbezüge ein Stück weit kompensieren. Diese Aufgabe erfüllen sie aber nur dann, wenn wirklich alle Schüler zuhören. Professionelle Schüler hören oft aber nur so lange zu, bis der Lehrer entschieden hat, wer mit dem Wiederholen dran ist. Danach wenden sie sich wieder ihren Nebentätigkeiten zu.

 

·  Hausaufgabenkontrolle

Eine Variante der übenden Wiederholung ist die Hausaufgabenkontrolle zu Stundenbeginn. Sie ist dann sinnvoll, wenn die Hausaufgaben so gestellt wur­den, dass sie ohne Umwege auf das neue Stundenziel hinführen. Sie wird dann problematisch, wenn bei der Kontrolle viele' Fehler zutage treten, die dann zu längeren Wiederholungen und Richtigstellungen zwingen. Sie wird erst richtig problematisch, wenn sie lediglich zur Demonstration der Macht des Lehrers genutzt wird. Immer dann, wenn die Hausaufgaben keinen un­mittelbaren Bezug zum neuen Thema haben, sollte ihre Kontrolle außerhalb der Unterrichtsstunde stattfinden! Diese Forderung ist wenig populär, weil sie den Lehrer viel Zeit kostet, die investierte Mehrarbeit lohnt sich aber fast immer! Sie können in Ruhe überprüfen, welchen Leistungsstand die Schüler erreicht haben. Die Phase der Hausaufgabenkontrolle ist oft auch ein will­kommener Anlass für unruhige und undisziplinierte Schüler, Unsinn zu trei­ben. (Lehrer, die während der Stunde einen großen Anteil organisatorischer Aufgaben erledigen, haben mehr Disziplinschwierigkeiten als jene, die zügig zur Erarbeitung des neuen Stoffes übergehen....

 

·  Informierender Unterrichtseinstieg

Der Lehrer ist verpflichtet, seine Schüler über die vorgesehenen Unterrichtsinhalte und über den geplanten Unterrichtsverlauf zu informieren (s. o.)! Ich habe mir in der Schule angewöhnt und dann auch im Hochschul-Lehrbetrieb aufrecht erhalten, jeweils einige Minuten vor Sitzungsbeginn in den Seminarraum oder Hörsaal zu kommen und an der Tafel den geplanten Sitzungsver­lauf festzuhalten.

 

Das Konzept des Informierenden Unterrichtseinstiegs ist einseitig kognitiv orientiert. Dies ist seine Stärke und Schwäche zugleich. Er bietet sich bei älteren und leistungsorientierten Schülern an. Er kann aber bei jüngeren, bei leistungsschwächeren oder bei undisziplinierten Schülern auch schnell zu ei­nem routinierten Ritual verkommen, das nur noch dem Lehrer hilft, seine Maßnahmen durchzudrücken, ohne den Schülern eine echte Chance zu ge­ben, sich in die gestellte Lernaufgabe hineinzudenken. - Es muss also ein Klima geschaffen werden, in dem die Schüler zur Überprüfung und Kritik der Planungsvorgaben geradezu provoziert werden.

 

 

Die nun folgenden fünf Beispiele für Einstiege sind immer noch einseitig auf die Information des Schülers über den neuen Unterrichtsstoff bezogen, sie verpacken diese Information jedoch in lebendige, visuell anregende For­men.

 

·  Interview

Experten (Eltern, andere Lehrer, Fachleute vor Ort, Bildungspolitiker usw.) werden zu Beginn einer neuen Unterrichtseinheit eingeladen und von den Schülern »nach Strich und Faden« ausgefragt. Dies kann viel Spaß machen, wenn die Schüler Vorerfahrungen und Interessen mitbringen. Dies funktio­niert selbstverständlich nicht, wenn das Thema für die Schüler völlig fremd ist (vgl. Wallrabenstein 1975; Bayer 1977).

 

·  Reportage

Der Lehrer, noch besser: einige Schüler zusammen mit dem Lehrer haben sich schon einige Tage vorher in das neue Unterrichtsthema eingearbeitet und nach dem Muster von Rundfunk-Reportagen eine Kurzinformation zum Thema zusammengestellt, vielleicht auch einen Experten oder Zeitzeugen in­terviewt. Vielleicht haben sie auch - z. B. bei historischen oder geographi­schen Themen - einen fiktiven Dialog geführt, in dem das neue Thema zur Sprache kommt.

Eine Alternative stellt die Zeitungs-Reportage dar: Der Lehrer produziert ein Arbeitsblatt mit Fotos/Zeitungsartikeln/Interviews usw., das die Neugier und Fragehaltung der Schüler zu wecken erlaubt.

 

·  Thematische Landkarte

Die vier diesem Buch beigefügten DIDAKTISCHEN LANDKARTEN sind Beispiele für diese Einstiegsform. Nun muss es nicht immer um so aufwendige Muster gehen. Man kann eine einfache, ohne große zeichnerische Talente ausgeführ­te Zeichnung machen und dann den Schülern wie eine Speisekarte vorle­gen.

Ein solcher Einstieg kann mehrere didaktische Funktionen erfüllen:

 

·        Er gibt einen ersten informativen Überblick über die Thematik.

·        Er kann sehr viel genauer als jedes Lehrbuch auf die Lernvoraussetzungen und Interes­sen des Lehrers und der Schüler zugeschnitten werden.

·        Das, was im Lehrervortrag hintereinander gesagt (und oft entsprechend schnell verges­sen) wird, ist nun zeitgleich sichtbar und deshalb leichter zu hinterfragen und zu beur­teilen.

·        Differenziert gezeichnete Karten können witzig, interessant, einladend sein; sie erhalten einen ästhetischen Reiz, können im Klassenzimmer oder zu Hause am Arbeitsplatz an die Wand gepinnt werden.

·        Die Karte kann in späteren Phasen der Unterrichtseinheit immer wieder herangezogen werden, um die Auswertung zu strukturieren oder um kurze Planungsbesprechungen über das weitere Vorgehen zu machen.

 

·  Comics, Cartoons, Karikaturen

Gute Comics, Cartoons und Karikaturen bringen ein Problem komprimiert, provokativ und zumeist auch witzig-ironisch auf den Punkt. Deshalb bieten sie sich in vielen Fällen für einen Einstieg in ein neues Thema an.

 

·  Lehrfilm

Es gibt kein Schulfach und kaum ein Unterrichtsthema, zu dem nicht inzwi­schen hochwertige Lehrfilme existierten. Sie haben den Vorteil, dem Lehrer viel Arbeit in der Materialaufbereitung abzunehmen, sie haben den Nachteil, nie hundertprozentig auf die jeweiligen Lernvoraussetzungen der Schüler zu­geschnitten zu sein.

 

 

Ein qualitativer Sprung in der Gestaltung von Unterrichtseinstiegen liegt bei den nun folgenden Beispielen vor: Es wird nicht nur mündlich, schriftlich oder bildlich darüber informiert, was der Inhalt der neuen Unterrichtseinheit ist, sondern durch einen schüleraktiven, handelnden Umgang die Gelegen­heit gegeben, an sich selbst zu erfahren, worum es beim neuen Thema geht.

 

·  Einen Widerspruch konstruieren

Man kann zu Beginn der Erarbeitung eines neuen Themas einen scheinba­ren, aufgrund fehlender Vorkenntnisse der Schüler nicht sofort lösbaren Wi­derspruch konstruieren und die Neugierde der Schüler nutzen, um das The­ma in den Fragehorizont der Schüler zu rücken.

 

·  Verrätseln

Rätselraten macht Spaß - für Lehrer wie für Schüler. Und es ist oft - nicht immer - lehrreich! (Die Lehrerfrage: »Rate mal, was du in der Mathearbeit hast!« weckt zwar Gefühle, aber lehrt nichts!)

 

· Verfremden                                                                                 

Verfremdung ist nur dort möglich, wo etwas vertraut, lieb und alt bekannt ist. Der Lehrer, der einen Sachver­halt oder eine Fragehaltung seiner Schüler verfremden will, muss ihre All­tagserfahrung, ihre Deutungsmuster und Klischeevorstellungen genau ken­nen: »Neue Inhalte zu verfremden, ist unökonomisch oder sogar unmöglich: verfremden sollte man, wenn überhaupt, was, wie Hegel gesagt hat, bekannt, aber eben deshalb nicht erkannt ist. Verfremdung ist vornehmlich ein Instru­ment, um Selbstverständliches kaputtzumachen« (Henningsen 1974, S.136). Deshalb ist pädagogischer Takt erforderlich, wenn man im Unterricht mit Verfremdungen arbeiten will.

 

·  Provozieren

Das Provozieren ist eine Variante der Verfremdung. Nicht der Inhalt oder die Methode seiner Aneignung werden verfremdet, sondern die Schüler selbst!

 

·  Bluffen und Täuschen

Das Bluffen und Täuschen ist eine intensivierte und durchaus riskante Steige­rungsform des Provozierens. Die Schüler werden absichtlich hereingelegt, um ihnen »einen Denkzettel zu verpassen«. Dies funktioniert aber nur unter günstigen Umständen.

 

 

Das Provozieren, das Verwirren, Bluffen und Täuschen stellen riskante For­men des Unterrichtseinstiegs dar, weil hier mit den Gefühlen der Schüler gespielt wird. Die Gefahr der Verärgerung und, in ihrem Gefolge, der Lern­blockierung der Schüler ist entsprechend groß. Man muss seine Schüler sehr gut kennen, mit Fingerspitzengefühl vorgehen und bereit sein, den Einstieg bei unerwarteten Reaktionen der Schüler vorzeitig abzubrechen.

 

Die im letzten Block genannten Beispiele für Unterrichtseinstiege erlau­ben den Schülern zwar einen handelnden bzw. erfahrungsbezogenen Um­gang mit dem neuen Thema, sie sind jedoch stark lehrerzentriert; der Lehrer hält alle Fäden in der Hand; er überrascht, ja überrumpelt die Schüler mit seiner Fragestellung. In den nun folgenden Beispielen ist dies anders: Sie sind so konstruiert, dass die Schüler einen großen Einfluss darauf haben, wel­che Fragen gestellt und welche Inhalte thematisiert werden.

 

·  Vorkenntnisse abfragen

Die langweiligste Form, einen solchen Einstieg zu gestalten, besteht darin, dass der Lehrer die Vorkenntnisse der Schüler erfragt und in Stichworten an der Tafel festhält. Diese Einstiegsform erfordert wenig Vorbereitung des Lehrers. Sie ist einfach zu handhaben, bleibt aber problematisch, weil nahe­zu unweigerlich beim Festhalten der Stichworte an der Tafel vom Lehrer (oder vom dazu abkommandierten Schüler) eine mehr oder weniger willkür­liche Auswahl vorgenommen wird. Zusätzlich tritt ein »Egalisierungseffekt« ein: Schüler, die eigentlich abweichende Informationen oder Einstellungen haben, unterdrücken ihre Veröffentlichung, weil sie aus den bereits vorlie­genden Informationen der Mitschüler entnehmen, dass ihre eigene Meinung abwegig oder inopportun sein könnte.

 

·  Karteikarten-Spiel

Beim Karteikarten-Spiel werden die oben genannten Schwierigkeiten ver­mieden:

Der Lehrer verteilt an alle Schüler Karteikarten und fordert sie auf, ihre eigene Mei­nung zum

Thema oder das, was sie schon von dem Thema wissen, vielleicht auch das, was sie noch

gern wissen würden, gut leserlich aufzuschreiben (also: mit dickem Filz­stift!).

Die fertig beschriebenen Karten werden nach vorn gebracht und mit Tesaband an die Tafel geklebt.

Entweder der Lehrer oder auch Lehrer und Schüler gemeinsam gehen dann daran, die­se Karten thematisch zu ordnen, Pro- und Contra-Argumente herauszufiltern, Über­schriften zu sammeln usw.

Dazu bilden die Schüler einen Halbkreis um die Tafel, damit alle Karten auch tatsäch­lich

 gelesen werden können.

 

 

·  Themenzentrierte Selbstdarstellung

Bei vielen sozialkundlichen, historischen, politischen, philosophischen und religiösen Themenstellungen kann erwartet werden, dass die Schüler schon vor Beginn der Unterrichtsarbeit eine mehr oder weniger differenzierte (oft aber auch einseitige oder dogmatische) Einstellung zum Thema haben. Es ist wichtig, dass diese Einstellung unverzerrt auf den Tisch kommt und so doku­mentiert wird, dass an ihr weitergearbeitet werden kann. Dazu dient die the­menzentrierte Selbstdarstellung:

In Klassen bzw. Kursen oder Pro­jektgruppen, die neu zusammenge­setzt worden sind, kann die Selbst­darstellung der Person und ihrer Biographie im Vordergrund stehen; dort, wo sich Lehrer und Schüler schon lange kennen, wird die subjek­tive Sicht auf das neue Unterrichts-thema in den Vordergrund zu rücken sein.

 

·  Vergleichen und Kontrastieren

Der Unterrichtseinstieg soll anregungsreich sein. »Leere-Blatt-Situationen«, in denen die Schüler aus dem Nichts differenzierte Problemformulierungen oder Fragen entwickeln sollen, stellen fast immer eine Überforderung dar (s. o.). Es ist sinnvoller, den Schülern ein anregungsreiches, vielfältiges Ma­terial vorzugeben, anhand dessen sie ihre eigenen Vorlieben, Interessen und Fragestellungen entwickeln können.

Bei diesem Einstieg kommt es natürlich darauf an, dass die vom Lehrer mit­gebrachten Fotos und Bilder geschickt ausgewählt sind: Sie müssen einerseits die Interessen und Vorkenntnisse der Schüler aufgreifen, sie müssen ande­rerseits die Bandbreite der vom Lehrer vorgesehenen Thematik dieser Un­terrichtseinheit abdecken.

 

·  Sortieren/Auswählen/Entscheiden

Eine methodisch anspruchsvollere Variante der oben skizzierten Karteikarten-Spiele liegt dann vor, wenn die Schüler den Auftrag erhalten, Ordnung in eine vom Lehrer produzierte Unordnung zu bringen.

 

·  Programmvorschau

Es ist in vielen Fällen sinnvoll, lange vor Beginn der Arbeit an einem neuen Thema eine Voraus-Information zu starten, um die Schüler zu orientieren, was in den nächsten Wochen und Monaten auf sie zukommt. Die neuen The­men werden sozusagen leicht »angebrütet«. Dies hat den Vorteil, dass neu­gierige Schüler schon mal außerhalb des Unterrichts nach verwandten The­menbereichen, nach Fernseh- oder Zeitungsberichten zum Thema, nach praktischen Anwendungsbezügen Ausschau halten können.

 

·  Vorwegnahme

Der Lehrer produziert bzw. besorgt einen knappen, informierenden Über­blick über das neue Thema und gibt ihn den Schülern einige Tage vor Beginn der Arbeit am neuen Thema an die Rand:

 

·  Themenbörse

Der Lehrer will bestimmte Themen in Form von Schülerreferaten, Erkun­dungsaufträgen oder freiwilligen Hausaufgaben vergeben. Er bündelt alle diese Aufträge und veranstaltet eine Themenbörse.

 

·  Schnupperstunde

In jenen Fächern, in denen die Richtlinien und Schulbücher größere Freiräu­me lassen, kann der Lehrer in einer Extra-Stunde mögliche neue Themen kurz vorführen und die Schüler schnuppern lassen, was da auf sie zukommen könnte. Je nach Alter und Motivationslage der Schüler sollte diese Schnup­perstunde unterschiedlich methodisch gestaltet werden.

 

·  Völliger Verzicht auf den Unterrichtseinstieg?

Man kann in einer Reihe von Fällen auf eine formal ausgegrenzte Einstiegs­phase verzichten. Erst recht kann in vielen Fällen auf eine lehrerzentrierte Einstiegsphase verzichtet werden:

 

·        Wenn die Schüler schon Feuer und Flamme sind, bevor der Unterricht richtig angefan­gen hat, ist eine umständliche Motivationsphase wirklich unangebracht;

·        wenn ein Thema »vom Schwanze aus aufgezäumt wird«, wenn also die Übungsphase an den Anfang rutscht oder wenn ein eigentlich für die Ergebnissicherung vorgesehenes Anwendungsproblem zu Beginn der Beschäftigung mit dem neuen Thema von den Schülern eingebracht wird, kann ein Lehrer, der sich fachlich und methodisch sicher fühlt, seine ganze Planung blitzschnell umdrehen. Dann wird jedoch die sogenannte Anwendung zum Einstieg!

 

Ein wirklicher Verzicht auf die Erschließung des Themas liegt in all diesen Fällen aber nicht vor! Die Erschließung erfolgt nur an anderem Ort und zu anderer Zeit und mit anderen Beteiligten.